Craniosacrale Therapie als Bestandteil der Osteopathie
Artikel aus der Zeitschrift "Körper Geist Seele" vom September 1995
Tom Esser M.Sc. Gründer und Leiter des OZKs, möchte mit diesem Artikel einen Eindruck über die geschichtliche Entwicklung der Craniosacralen Therapie und Osteopathie in Deutschland vermitteln und diese Behandlungsweise in ihren Grundlagen darstellen.
Er selbst hat sechs Jahre als Assistent am Upledger Institut in den USA gearbeitet.
In den USA stellt die Craniosacrale Therapie bereits eine anerkannte Therapieform dar, die innerhalb der Osteopathie einen hohen Stellenwert einnimmt.
Der Ursprung und die Grundlage der craniosacralen Therapie liegen in der Forschungsarbeit von Dr. Andrew Tylor Still, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts lebte.
Er suchte nach Alternativen zur allopathischen Medizin, zu Medikamentenverabreichung und Chirurgie und entwickelte anhand von Selbstversuchen in intensiver Forschung einen manuellen Ansatz, dem er 1874 den Namen "Osteopathie" gab.
1892 wurde die 1. Schule für Osteopathie in Kirksville/Missouri eröffnet.
An dieser Stelle beginnt nun die Entwicklung des craniosacralen Systems durch Willian G. Sutherland, der 1899 als Student der Kirksville Schule eine Art Besessenheit zeigte, die in der Idee bestand, dass der Aufbau des menschlichen Schädels auf eine bestimmt Funktion hindeutet. Er betrachtete einen Schädel, der in seine 23 Schädelknochen zerlegt war,
besah sich die Gelenkflächen der einzelnen Schädelknochen und wie diese zusammenpassten. Die Gelenkflächen des Keilbeins und des Schläfenbeins waren es,
die den Geistesblitz auslösten: Die Flächen bewegen sich wie die Kiemen eines Fisches!
Zehn Jahre plagte er sich und zweifelte, weitere Jahre verbrachte er damit,
teilweise recht gefährliche Selbstversuche an sich durchzuführen, indem er Maschinen konstruierte, die Druck auf bestimmte Schädelknochen ausübten. So testete er die Auswirkungen auf dieses System.
Nach ca. 20 Jahren war er soweit, dass er Diagnose und Therapie sehr erfolgreich an seinen Patienten ausübte. Dieses neu entdeckte Atmungssystem bezeichnete er als "Primäre Atmung", die der sekundären, der respiratorischen Atmung übergeordnet ist. Ungeachtet der großen Erfolge stieß die craniosacrale Therapie vor einer großen Konferenz der Amerikanischen Osteopathie im Jahre 1932 auf taube Ohren, mehr noch, sie wurde als Hirngespinst eines Träumers abgeurteilt.
Dennoch verbreitete sich die Therapie weiter, da Ärzte und Patienten von den positiven Resultaten profitierten und somit eine immer größere Nachfrage entstand.
Bis Anfang der Vierziger dauerte es, ehe Dr. Sutherland und seine Arbeit,
die Craniosacrale Therapie, anerkannt und in den Schulen für Osteopathie als deren Bestandteil integriert wurden. Trotzdem blieb es wenigen Osteopathen vorbehalten, mit der craniosacralen Therapie zu arbeiten, nicht zuletzt deshalb, weil sie wissenschaftlich noch nicht belegbar war.
1971 änderte sich dies. Unter der Leitung eines amerikanischen Osteopathen und des Chirurgen Dr. Upledger wurde ein wissenschaftliches Team an der Michigan University zusammengestellt, das ein für allemal den Beweis für das craniosacrale System und er craniosacralen Therapie erbringen sollte. Nach zwei Jahren intensiver Arbeit wurde dieser Beweis tatsächlich erbracht. Dergestalt untermauert schickte sich die craniosacrale Therapie nun an, sich weltweit zu verbreiten, auch unabhängig von der Osteopathie.
Um das craniosacrale Konzept zu verstehen, braucht es allerdings das Verständnis der Prinzipien der Osteopathie. Man kann den Begriff Osteopathie als ein vollständiges System für Diagnose und Behandlung definieren, aufgebaut auf die Beziehung zwischen Anatomie und Physiologie, für das Studieren, für die Prävention und die Behandlung von Krankheiten. Dabei sind Osteopath und Craniosacral-Therapeut darauf bedacht, sich die Gesamtheit des Menschen und Körpers anzusehen und mehr den gesamten Menschen als nur die Krankheit zu behandeln. Der Mensch wird als Ganzes geheilt, dabei lösen sich pathologische Veränderungen mit auf.
In den letzten Jahren vollzog sich ein Wandel in der Beziehung zwischen Arzt, Therapeut und Patient. Immer mehr Menschen übernehmen die Verantwortung für ihre Gesundheit und fragen nach den Ursachen. Krankheiten werden von den unterschiedlichsten Faktoren ausgelöst. Um optimal gesund zu werden, ist eine Veränderung der Lebensumstände und der inneren Einstellung wichtig.

Mein Ziel, meine Wunschvorstellung ist eine Integration im weitesten Sinne, die das Spirituelle,
das Gesellschaftliche, die Ernährung, die Umwelt, die Symptome und die Psychologie miteinbezieht.
Osteopathie und craniosacrale Therapie sind sehr effektive Methoden zum Heilen, wenn sie von verantwortungsvollen Menschen ausgeübt werden.
Wie funktioniert das craniosacrale System?
Die craniosacrale Therapie befasst sich mit dem System, welches sich vom Cranium (Kopf) bis zum Sacrum (Kreuzbein) erstreckt. Das Gehirn sitzt im Cranium und ist mit dem Rückenmark verbunden, das wiederum von der Wirbelsäule geschützt ist.
Man nennt dieses Ganze das zentrale Nervensystem.
Das ZNS ist umgeben von drei Gehirnteilen und Rückenmarkshäuten.
Wir kennen z. B. die Krankheit Meningitis, bei der sich die Gehirnhäute entzünden.
Zwischen den Gehirnhäuten befindet sich de Liquor oder die Cerebro-Spinal-Flüssigkeit.
Diese Flüssigkeit spielt eine wichtige Rolle im craniosacralen System.
Stellt man sich vor, dass das Gehirn leicht gedrückt werden kann, bietet diese Flüssigkeit also Schutz, und nicht nur das, in ihr sind wichtige Nährstoffe enthalten, die der Kommunikation und vielen weiteren Funktionen dienen.
In der craniosacralen Therapie nehmen wir direkten Einfluss auf diese Flüssigkeit, sowie auf ihre Produktion und Resorption. Der Liquor wird aus dem arteriellen Blut durch eine Art Filtermechanismus in den Ventrikeln im Gehirn gefiltert und durch weitere Filtermechanismen wieder in das venöse Blut rückresorbiert.
Dadurch entsteht ein Puls, ein An- und Abschwellen mit einer Frequenz von ca. 8 -- 10 Intervallen pro Minute. Dieser Puls existiert, solange man lebt. Durch die Anheftung der Membranen an Schädel und Kreuzbein nimmt der craniosacrale Therapeut direkten Einfluss auf das System.
Das heißt der Rhythmus ist am deutlichsten spürbar an Kopf, Kreuzbein und auch den bindegewebigen Verbindungen am gesamten Körper. Die Bewegung dient dem Therapeuten zur Diagnose und auch zur Behandlung. Die Bewegung der Membranen ist elementar für die Gesamtmobilität der Membranen, des Gehirns und des Schädels.
Für Dr. Sutherland war das wichtigste Gelenk die Schädelbasis und die Bewegung von Keilbein und Hinterhauptbein. Dies ist sozusagen das Zentrum des Schädels und dort sitzt das Gehirn. Im Keilbein sitzt die Hypophyse, die sich mit ihm bewegt. Wenn das System sich füllt (Flexion), weitet sich das Gehirn und rollt sich nach vorne aus, die paarigen Knochen an der Peripherie gehen in Außenrotation, die einzelnen Knochen an der Mittellinie machen eine Bewegung nach vorne oder nach hinten.
In der Entleerungsphase (Extension) entrollt sich das Gehirn, die Knochen an der Peripherie machen eine Innenrotation und die Knochen an der Mittellinie eine Kippbewegung nach vorne oder hinten. Diese Bewegungsdynamik ist für die gesamte Funktion des Schädels, des Gehirns und des Körpers wichtig. Ist nur ein einzelner Knochen als Folge eines Traumas eingeschränkt in seiner Beweglichkeit, kann er das gesamte craniosacrale System blockieren und zurückhalten.
Die Aufgabe des craniosacralen Therapeuten ist es, diese Blockade aufzufinden und durch sanften Druck wieder zu lösen, so dass der Schädel und das Gehirn sich wieder optimal bewegen können.
Es kann zum Beispiel bei einer Zangengeburt, bei Extraktion eines Zahnes, bei einem Schlag, einem Sturz passieren, dass eine Kompression eines oder mehrerer Schädelknochen stattfindet. Ihre Bewegung wird eingeschränkt, oder, was noch schlimmer ist, der ganze Schädel verdreht sich. Es kann passieren, dass sich das Keilbein verschiebt oder verdreht, so dass die Bewegung zwar noch stattfindet, jedoch reduziert. Das bewirkt eine Kompression auf den Augennerv, der durch das Keilbein und die entsprechenden Blutgefäße führt, oder auf die Hypophyse, die im Türkensattel des Keilbeins sitzt, und so hat dies einen negativen Einfluss auf das gesamte endokrine System. Verdreht sich ein einziger Schädelknochen, müssen sich alle anderen Knochen mitdrehen. Ist beispielsweise ein Schläfenbein verdreht, wirkt sich dies auf den Gehörsinn und den Gleichgewichtssinn aus. Bei einer Blockade kann es zu Tinnitus (Ohrgeräusche) oder zu Gleichgewichtsstörungen kommen. Dies gilt es bei der Craniosacralen Therapie wieder auszugleichen.
Man kann mit Craniosacraler Therapie nicht alles behandeln, jedoch gibt es im Rahmen der Osteopathie für die einzelnen Bereiche jeweils angemessene Therapiemöglichkeiten und Techniken: craniosacrale Therapie für das zentrale, das periphere und vegetative Nervensystem; viscerale Therapie für die einzelnen Organsysteme z.B. Gallenbänder oder Gallengänge strecken, Leber behandeln etc..
Cranielle Therapie für das Muskelskelettsystem; myofasciale Therapie für das Bindegewebe; somato-emotional Release, eine von Dr. Upledger entwickelte Methode,
arbeitet mit speziellen Techniken, um Erinnerungen im Gewebe wachzurufen und Blocks zu lösen.
Tom Esser M.Sc. Gründer und Leiter des OZKs
→ zurück zu den Publikation (Übersicht)