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Meine Reise in die Stille
von Sebastian Müller
Tom sprach immer wieder über seine Aufenthalte in einem buddhistischen Schweigekloster im Süden Thailands und die Erfahrungen und Erlebnisse, die er dort hatte, auch bezüglich der Biodynamischen Osteopathie. Das machte mich neugierig. Und so kam es, dass ich im August 2017 zusammen mit Tom ein 10-Tages-Retreat im Kloster Suan Mokkh erlebte.
Wir flogen nach Bangkok und übernachteten im Stadtzentrum, was ein extremes Gegenteil zum Kloster ist. Am nächsten Tag flogen wir weiter nach Surat Thani, und das letzte Stück zum Suan Mokkh legten wir mit dem Taxi zurück.
Foto: Dieter Bahlau
Zum Ersten jeden Monats finden dort 10-Tages-Retreats statt. Man kann sich vorher nicht anmelden, sondern fährt einfach dorthin. Man schläft und wohnt in einem Schlafsaal, in welchem jeder eine Art Mönchszelle für sich hat. Man gibt alle Dinge, die einen in der Zeit ablenken könnten, ab: Handy, Bücher, Uhren, Kamera usw.
Morgens um 4:00 Uhr wird man von einem gigantischen Gong geweckt. Um 4:30 Uhr beginnt in einer großen Meditationshalle der erste 30-minütige Diskurs, gefolgt von einer Stunde Meditation. Die Diskurse handeln vom buddhistischen Weg, um aus dem Kreislauf des menschlichen Leidens auszusteigen. Dazu gehört eine in mehreren Stufen aufgebaute Meditationstechnik und eine bestimmte Betrachtungsweise des eigenen Lebens. Danach folgen 90 Minuten Tai Chi und Yoga. Bis zum Frühstück um 8:00 Uhr geht es mit Meditation weiter. Nach dem Frühstück hat man etwas Zeit, um sich und seine Wäsche zu waschen und die eigene Zelle zu reinigen. Alle Tätigkeiten im Kloster werden in absoluter Stille verrichtet. Man vermeidet es auch, andere Menschen zu beobachten oder ihnen Aufmerksamkeit zu schenken, um vollkommen bei sich selbst zu bleiben. Bis zum Mittagessen geht es im Wechsel mit sitzender, stehender und gehender Meditation weiter. Nach dem äußerst leckeren Mittagessen - man muss wirklich achtgeben, nicht zu viel zu verspeisen - hat jeder wieder etwas Zeit für sich. Der Nachmittag beginnt mit einem Vortrag von einem der buddhistischen Mönche. Bis zum Abend verbringt man die Zeit in Meditation und mit Chanting. Statt eines Abendessens gibt es nur eine Tasse Tee oder Kakao. Danach hat man die Möglichkeit, sich in einer natürlichen, heißen Quelle zu entspannen, bevor die Abendmeditation bis 21:00 Uhr weitergeht. Um 21:30 Uhr wird das Licht ausgemacht und man geht schlafen.
In den ersten drei bis vier Tagen wurde ich mit allen möglichen unverarbeiteten Dingen aus meinem Unterbewusstsein konfrontiert, mein Ego fing an, sich deutlich zu melden und auszutoben. Dies galt es zu beobachten und nicht darauf einzusteigen, sondern bei der Meditationstechnik zu bleiben. Auch körperliche Reaktionen in Form von Verspannungen kamen vor, bedingt durch den Widerstand, den das Ego durch die Stille und die Meditation aufgebaut hat. Ab dem 4. Tag legte sich mein innerer Widerstand und mehr Raum und Stille breiteten sich aus. Meine Verstandesaktivitäten reduzierten sich immer mehr und es kam ein Gefühl von Einssein in mir auf, bis hin zu einem Zustand, losgelöst von den Fesseln meines Körpers und komplett frei zu sein von den Dingen, die mich in der Polarität der materiellen Welt halten. Damit zog ein unbeschreiblicher innerer Frieden in mich ein und ein Gefühl von unendlicher stiller Weite in meinem Bewusstsein. Ich wollte einfach nur noch sein und hatte keinerlei Verlangen nach etwas anderem.
Jetzt wurde mir erst richtig klar, wie wichtig die Stille für die osteopathische Behandlung ist. Doch man kann dies nicht aus Büchern erlernen, sondern man muss es erfahren, um es dann für die Behandlung und sein eigenes Leben umsetzen zu können. Daher ist es unumgänglich, durch tiefe Meditation ein Gefühl für Raum und Stille zu bekommen, besonders für die Biodynamische Osteopathie. Nur wenn man Raum wahrnehmen kann und ihn in sich hat, kann man die Stille wahrnehmen. Stille braucht Raum. Und Raum entsteht erst in einem, wenn das eigene Ego in den Hintergrund tritt. Dann treten Raum und Stille in den Vordergrund. Das kann man nicht einfach so, das braucht regelmäßiges Training. In der Biodynamischen Osteopathie synchronisieren wir uns innerlich mit gewissen Zuständen und Gefühlen und das therapeutisch Mächtigste ist die Stille, das sagt auch Eckart Tolle. Doch gibt es verschiedene Qualitäten von Stille, die unterschiedliche Wirkungen in der Behandlung haben. Diese kann man jedoch nur erreichen, wenn man sie erfahren hat. Eine so unglaublich große und tiefe Stille, wie ich sie während des Retreats gefühlt hatte, habe ich vorher noch nie gespürt. Jetzt kann ich diese bei meinen Behandlungen einsetzen. Dadurch sind sie viel schneller, tiefgreifender und effektiver geworden. Meiner Meinung nach kann man also erst wirklich über Stille sprechen und sie zur Behandlung nutzen, wenn man sie erfahren hat und nicht nur über sie gelesen oder gehört hat. Tom hat das Retreat in Suan Mokkh schon über vierzig Mal mitgemacht. Jetzt verstehe ich auch, warum er so schnell und effektiv behandeln kann.
Was mir auch noch bewusster geworden ist, ist der Zusammenhang zwischen der Atmung und unserem Mind, und damit dem Zustand unseres Vegetativums, dem zentralen Nervensystem und dem myofaszialen System. Diese sind alle rezirok miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Durch die Meditationstechnik gleicht sich immer mehr die sekundäre Atmung aus, dadurch wir unser Mind ruhiger und ausgeglichener und somit auch das ZNS und VNS, und das hat wiederum eine spannungsregulierende Wirkung auf das myofasziale System. Dies gilt auch umgekehrt: Als mein Ego in den ersten Tagen getobt hatte, wurde ich innerlich unruhiger, mein myofasziales System verspannte sich und meine Atmung wollte nicht zur Ruhe kommen. Wenn dann eine tiefe Stille mit dem System synchronisiert wird, beginnt sich alles auszugleichen.
Foto: Dieter Bahlau
So wie schon Sutherland in seiner Definition für Gesundheit gesagt hat: „When all Fulkrums are lined up, there will be Peace and Harmony“. Somit ist Stille eine der größten therapeutischen Kräfte zur Wiederherstellung der Gesundheit. Auch die Buddhisten sagen, dass sich nur in der Stille das Leiden und das Ego auflösen können. Auch Becker hat sein letztes Buch der Stille und der darin enthaltenen therapeutischen Kraft gewidmet. Auf Sutherlands Grabstein steht: “Be still and know because I am God”. Dr. Still hat die Kraft der Stille indirekt in seinen Schriften beschrieben.
Um mit der Stille arbeiten zu können, braucht es ein intensives Studium und das Erfahren der Stille. Und das lohnt sich für einen selbst und für die ganzheitliche Behandlung des Patienten.
Am liebsten wäre ich für immer in dem Kloster und in der dort anwesenden unglaublich schönen Stille geblieben.